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Foto Otto Hue

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  • Otto Hue

    Geboren am 02.11.1868 in Dortmund
    Gestorben am 18.04.1922 in Essen
    Beruf(/-e):

    Gewerkschaftler, Schlosser, Reichstagsabgeordneter


    Ehrenbürger: Nein

    Vita

    Die Biographie wurde von Dr. Klaus Wisotzky geschrieben und freigegeben.

    Otto Hue, der am 2. November 1868 in (Dortmund-)Hörde geboren und auf den Namen Konrad getauft wurde, war der bedeutendste Bergarbeiterführer, Gewerkschafter und Sozialdemokrat des Ruhrgebiets im Kaiserreich und zu Beginn der Weimarer Republik. Sein Vater war Walzmeister beim Hoerder Verein, sodass Otto eine unbeschwerte Kindheit winkte. Doch als er gerade einmal sechs Jahre alt war, starb der Vater, und die Familie geriet in bitterste Not.

    Nach der Schulzeit absolvierte Otto eine Schlosserlehre, arbeitete von 1885 bis 1889 wie seine Vorfahren beim Hoerder Verein und begab sich dann auf Wanderschaft. Als er 1893 nach Essen kam, wo er bis zu seinem Tode wohnen sollte, fand er als gelernter Arbeiter leicht eine Anstellung auf der Kruppschen Gussstahlfabrik, doch er wurde kein „Kruppianer“. Wegen seines gewerkschaftlichen Engagements und seiner Agitation für die SPD drohte ihm die Entlassung, der er durch seine eigene Kündigung zuvorkam. Dem Unternehmen blieb Hue aber sein Leben lang in tiefer Abneigung verbunden. Immer wieder, zu den unterschiedlichsten Anlässen setzte er sich kritisch mit den dort herrschen Arbeitsverhältnissen und der Firmenpolitik auseinander.

    Für junge Arbeiter, die Interesse an der Organisationsarbeit hatten, gewandt in Wort und Schrift waren, bot die Arbeiterbewegung die Chance zum sozialen Aufstieg, die ihnen ansonsten im Kaiserreich nahezu verschlossen war. Hue verfügte über den Ehrgeiz, den Fleiß sowie das nötige Selbstbewusstsein und nutzte die Gelegenheit, der als unbefriedigend empfundenen Arbeit als Schlosser zu entfliehen, etwas Neues auszuprobieren, etwas, was seinem sozialen Empfinden und seinen politischen Ansichten mehr entsprach als die monotone Fabrikarbeit.

    Hue avancierte Ende der 1890er Jahre zum führenden Kopf der Essener SPD, bis er sich nach der Jahrhundertwende mit den Genossen beim Streit über die richtige Gewerkschaftsstrategie überwarf. Für einige Jahre hatte er auch den Vorsitz im hiesigen Gewerkschaftskartell inne. Noch wichtiger für seinen weiteren Lebensweg war allerdings die Anstellung beim freigewerkschaftlichen Bergarbeiterverband, obwohl er nie unter Tage gearbeitet hatte. Bei einer Größe von 1,94 Meter war dies auch nur schwer denkbar. Am 1. Mai 1895 wurde er zum Redakteur der Bergarbeiter-Zeitung ernannt.

    Mit Elan stürzte er sich in die neue Aufgabe, eignete sich schnell das erforderliche Wissen an und wurde ein ausgewiesener Bergbauexperte, wovon seine zahlreichen Leitartikel und Veröffentlichungen zeugen. Hervorzuheben ist besonders die sehr lesenswerte zweibändige Geschichte der Bergarbeiter. Hue beschränkte sich nicht allein auf die Schreibtisch- und Organisationsarbeit, sondern die Sonntage waren zumeist mit Versammlungen ausgefüllt, um neue Mitglieder zu gewinnen.

    Aufgrund seiner rastlosen Tätigkeit, seiner Publikationen, seiner steten Präsenz in der Öffentlichkeit und kraft seiner Persönlichkeit galt er schon bald als der eigentliche „Repräsentant des Bergarbeiterverbandes[1]. Nicht der Vorsitzende, sondern Hue bestimmte maßgeblich die Strategie und Taktik. Ihm als dem „intellektuellen Leiter[2] kam auch das Verdienst zu, dass der Verband, der 1895 am Abgrund stand und nur noch 6000 Mitglieder zählte, einen Wiederaufstieg erlebte. 1910 organisierte er dann bereits mehr als 120 000 Bergleute.

    „Achtung vor der Menschenwürde, ein den modernen Betriebsverhältnissen angepaßter Leibes- und Lebensschutz und die ausreichende Befriedigung der materiellen Bedürfnisse des Bergarbeiters[3]– das waren die von Hue formulierten Ziele des Verbandes, die auch heute noch für jede Gewerkschaft Gültigkeit besitzen. Im Parlament, auf hunderten von Versammlungen und in unzähligen Artikeln setzte sich Hue für die Interessen der Bergleute ein. Er prangerte die Missstände auf den Schachtanlagen an, brandmarkte den allgemein herrschenden Grubenmilitarismus und forderte: höhere Löhne, eine gerechte Gedingesetzung und kürzere Arbeitszeiten, eine humane Behandlung durch die Vorgesetzten und die Abschaffung des als ungerecht empfundenen Strafsystems, Mitbestimmungsrechte für die Belegschaften und einen besseren Arbeiterschutz sowie eine arbeiterfreundliche Knappschaftsreform. Mit seiner wirkungsvollen Agitation wurde er recht schnell zum bestgehassten Mann der Kohlenbarone an Rhein und Ruhr.

    Hue gehörte zur Jahrhundertwende zweifelsohne zu den bekanntesten Sozialdemokraten im Ruhrgebiet, sodass er auch als Anwärter für eine Reichstagskandidatur galt. 1903 wurde er im Wahlkreis Bochum-Gelsenkirchen nominiert und zur großen Überraschung aller gewann er die Stichwahl mit dem äußerst knappen Vorsprung von nur 763 Stimmen und konnte seinen Erfolg vier Jahre später wiederholen. 1913 zog er auch ins preußische Abgeordnetenhaus ein.

    Nach seinen Vorstellungen sollte die SPD eine „sozialpolitische, radikale Reformpartei“ werden, die durch ihr „reformerisches Wirken“ dem Volke nützlich sei, „damit es von einer Etappe zur anderen aus der knechtischen Unterordnung zur zweckbewussten freien Selbstbestimmung schreite[4]. Hue, der von einer gerechten Gesellschaft träumte, bekämpfte das undemokratische Drei-Klassen-Wahlrecht, rügte die wilhelminische Klassenjustiz, die mit zweierlei Maß urteilte, und setzte sich für die Rechte der nationalen Minderheiten ein. Als Abgeordneter kritisierte er die unsoziale Steuerpraxis des Kaiserreichs auf schärfste, da sie die Besitzenden schonte, hingegen die ärmeren Schichten durch die Erhebung von Verbrauchssteuern besonders belastete. Als Sozialist beklagte er, dass „unthätige Monopolisten schrankenlos über Erdschätze und Volkskraft verfügten[5], und forderte deren Enteignung durch die Verstaatlichung des Bergbaus.

    Hues Tätigkeit beschränkte sich nicht allein auf Deutschland, sondern er war auch eine der markantesten Persönlichkeiten der proletarischen Internationale. Er pflegte zahlreiche Freundschaften mit österreichischen, belgischen, niederländischen und besonders mit englischen Gewerkschaftern, und diese Kontakte kamen dann der jungen Weimarer Republik bei den Reparationsverhandlungen nach dem Kriege zugute.

    Obwohl Hue stets „den militaristischen Rüstungswahnsinn bekämpft hatte und für die Errichtung internationaler Schiedsgerichte eingetreten war, um den drohenden Menschenmassenmord zu verhüten[6], zählte er bei Ausbruch des Weltkrieges zu den entschiedensten Befürwortern des Burgfriedens. Für ihn stand fest, dass sich Deutschland in einem Verteidigungskrieg befand und dass die Arbeiterschaft „ein vitales Interesse“ habe, den ungeschmälerten Bestand Deutschlands zu behaupten[7]. Wenngleich Hue als Patriot für die Vaterlandsverteidigung eintrat, so sprach er sich ebenso entschieden gegen Annexionen aus. Vielmehr setzte er sich „für einen gerechten und für alle Kriegsführenden annehmbaren Frieden[8], für „eine ehrliche Verständigung der sich im Kriege verblutenden Völker[9] ein, weshalb er nach Kriegsende so sehr über den Versailler Vertrag entsetzt war. In seinen Augen war dieser ein „Sklavenkontrakt“, der Deutschland zu einem „Sklavenstaat“ mache[10].

    Der politische Umbruch im November 1918 bildete den entscheidenden Einschnitt im Leben Otto Hues. Die revolutionären Ereignisse machten die ausgegrenzten, zur Opposition verdammten Sozialdemokraten mit einem Schlag zu Regierenden, die staatspolitische Verantwortung zu tragen hatten. Otto Hue stand zwar nicht in der allerersten Reihe, doch als nach der Revolution die Sozialisierung des Bergbaus auf der Tagesordnung stand, die gewaltigen Bergarbeiterstreiks das Industriegebiet an der Ruhr erschütterten, zugleich die Kohlennot zu beheben war und die Reparationslieferungen an Frankreich zu verhandeln waren, zählte Hue als Bergbauexperte und Multifunktionär zu den wichtigsten Entscheidungsträgern der jungen Republik. Er war u.a. Beirat im preußischen Handelsministerium, Sachverständiger bei den Waffenstillstands- und den Reparationsverhandlungen, Mitglied der vom Rat der Volksbeauftragten eingesetzten Sozialisierungskommission und Reichsbevollmächtigter für den rheinisch-westfälischen Bergbau. Nach den Wahlen im Januar 1919 gehörte er der Nationalversammlung und dem preußischen Landtag an und galt wegen seiner umfassenden Wirtschaftskenntnisse bei der Bildung der neuen Regierung als ministrabel. Allein wegen seiner angegriffenen Gesundheit lehnte er jedoch das Amt des Wirtschaftsministers ab.

    Absolute Priorität in seinem politischen Denken und Handeln besaß nach Kriegsende die Beseitigung der gewaltigen Kohlennot. Hue schilderte er immer wieder in düsteren Farben, welche Folgen es haben werde, wenn die Förderung nicht gesteigert würde. Dann drohe nicht allein eine gewaltige Arbeitslosigkeit, sondern zugleich „eine gräßliche Hungersnot[11], die Millionen von unseren Kindern und Kindeskindern das Leben kosten wird“. Aus der hohen Verantwortung für die gesamtstaatliche und gesamtwirtschaftliche Entwicklung, aus Sorge um die demokratischen Errungenschaften sprach er sich gegen die sofortige Sozialisierung des Bergbaus und gegen die Einführung der bei den Bergleuten so populären 6-Stunden-Schicht aus. Gedankt wurde ihm und dem Bergarbeiterverband der selbstlose Einsatz für die Gesamtinteressen des noch jungen Staates nicht.

    Als Otto Hue am 18. April 1922 um 22.30 Uhr in den städtischen Krankenanstalten seinem Lungenleiden erlag, war das ein großer Verlust speziell für die Bergarbeiterbewegung, denn er hatte bis zuletzt die Politik des alten Verbandes bestimmt. Wie groß seine Beliebtheit war, bewies seine Beerdigung. Es war die größte, die Essen je erlebt hat. Mehr als 70 000 Menschen aus ganz Deutschland erwiesen dem „ungekrönten König“ der deutschen Bergarbeiterschaft[12] (Hans Mommsen) die letzte Ehre, der nach seinen eigenen Worten sein Leben lang gekämpft hat „für Freiheit, Demokratie und gleiches Recht“[13]. Von seinem hohen Ansehen zeugen auch die zahlreichen Straßen- und Platzbenennungen in beinahe allen Städten des Ruhrgebiets und in anderen Bergbauregionen.

    Fußnoten:

    [1] Sevring, Carl: Mein Lebensweg. Bd.1: Vom Schlosser zum Minister, Köln 1950, S. 159
    [2] BezirksPolizeiKommisar Essen an Regierungspräsident Düsseldorf, 31.08.1901, in : Landesarchiv NRW Abt. Rheinland Bestand Regierung Düsseldorf Nr. 9052.
    [3] Otto Hue, Die Bergarbeiter, 2 Bde., Stuttgart 1910 und 1913, Zitat Bd. 2 S. 733
    [4] Otto Hue, Die bürgerlichen Parteien und die Sozialdemokratie. Lehren der letzten reichstagswahlen, in: Sozialistische Monatshefte 1906, H. 9, S. 720-726, Zitat S. 726
    [5] Bergarbeiter-Zeitung 36, 15.9.1900 „Verstaatlichung der Bergwerke“.
    [6] Otto Hue, Zu späte Erkenntnis?, in: Essener Arbeiter-Zeitung 170, 24.7.1919.

    [7] Otto Hue, Die Bergwerks- und Hüttenindustrie, in: Arbeiterinteressen und Kriegsergebnis. Ein gewerkschaftliches Kriegsbuch, hg.v. Wilhelm Jansson, Berlin 1915, S. 37-52, Zitat S. 50.
    [8] Zuschrift Otto Hues, in: Essener Arbeiter-Zeitung 38, 14.2.1917.
    [9] Otto Hue, Märchenerzähler, in: Essener Arbeiter-Zeitung 153, 3.7.1917.
    [10] Protokoll der 21. Generalversammlung zu Bielefeld abgehalten vom 15. bis 21. Juni 1919, Bochum 1919, S. 362
    [11] Rede Hues am 8. Dezember 1918 in Düsseldorf, in: Hans Spethmann, Zwölf Jahre Ruhrbergbau. Bd. 1: Aufstand und Ausstand bis zum zweiten Generalstreik April 1919, Berlin 1928, S. 363-366, Zitat S. 363.
    [12] Hans Mommsen, Einführung, in: Otto Hue, Die Bergarbeiter, Berlin-Bonn 1981 (Nachdruck), S. I-XI, Zitat S. VIII.
    [13] Essener Volks-Zeitung 345, 13.12.1918.

    Literatur

    Brockpähler, Wilhelm: Hörde. Ein Heimatbuch für die Stadt und ihre Umgebung, Hörde 1928

    Mommsen, Hans: Einführung, in: Otto Hue, Die Bergarbeiter, Berlin-Bonn 1981 (Nachdruck), S. I-XI

    Mugrauer, Johann: Otto Hue, in: Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsbiographien 1, Münster 1932, S. 160-175

    Osterroth, Nikolaus: Otto Hue. Ein Lebensbild für seine Freunde, Bochum 1922

    Wisotzky, Klaus: Der „ungekrönte König“ der deutschen Bergarbeiterschaft. Zum 100. Todestag von Otto Hue, in: Forum Geschichtskultur Ruhr 01/2022, S. 48-51

    Werkauswahl

    Schriften (Auswahl):

    Mehr Bergarbeiterschutz. Ein Streit- und Mahnwort, Bochum 1900

    Neutrale oder parteiische Gewerkschaften?, Bochum 1900

    Die Bergarbeiter. Historische Darstellung der Bergarbeiter-Verhältnisse von der ältesten bis in die neueste Zeit, 2 Bde., Stuttgart 1910 u. 1913

    Die Bergwerks- und Hüttenindustrie, in: Arbeiterinteressen und Kriegsergebnis. Ein gewerkschaftliches Kriegsbuch, hg.v. Wilhelm Jansson, Berlin 1915, S. 37-52

    Die Verstaatlichung des Bergbaues, in: Monopolfrage und Arbeiterklasse, hg.v. Wilhelm Jansson, Berlin 1917, S. 87-169

    Volk in Not, Bochum 1920

    Die Sozialisierung der Kohlenwirtschaft, Berlin 1921

    Grab

    Ehrengrab: Nein
    Friedhof: Südwestfriedhof
    Grablage: Link zum Stadtplan