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Anreise/Anfahrt

Stolperstein "Anneliese Katz verh. Ranasinghe"

Geboren am 02.10.1925
Gestorben am 17.12.2016 in Colombo / Sri Lanka

Vita

Anneliese Katz wurde am 2. Oktober 1925 als Tochter von Emil Katz und seiner Frau Anna Amalie, genannt „Änne“ geb. Mendel geboren. Sie war das einzige Kind des Ehepaares. Der Vater, aus Züschen in Hessen-Waldeck stammend, war 1923 nach Essen gekommen und betrieb eine kleine Fabrik für Sanitärartikel. 1924 heiratete er die aus Köln stammende Änne Mendel, eine elegante Großstädterin, interessiert an Theater und Oper. Emil Katz stammte aus einer orthodoxen Familie. „Nur ihrem Mann und ihrer Tochter zuliebe, die mit Miriam Hahn, der Tochter des Essener Rabbiners Dr. Hugo Hahn, befreundet war und deshalb großen Wert auf die Religion legte, trennte sie milchig und fleischig in ihrer Küche und feierte den Schabbat und die jüdischen Feste. Am Schabbat ging die Familie gemeinsam in die prächtige, 1913 erbaute Synagoge am Steeler Tor." (Martina Strehlen) Ab 1926 wohnte die Familie in der Rüttenscheider Straße 26. 1936 wurde eine Wohnung in der Mackensenstraße 55 (heute: Brunnenstraße) bezogen. Den nahegelegenen Stadtgarten besuchte Anneliese mit ihrem Vater. Im Sommer ging es auf den Spielplatz, im Winter wurde Schlitten gefahren oder Schlittschuh gelaufen. Von 1931 bis 1938 besuchte sie die jüdische Volksschule in der Sachsenstraße, die während der NS-Zeit mehrmals umziehen musste. Anneliese erinnerte sich noch an das baufällige Gebäude in der Kastanienalle. Es folgte ab 1936 der Besuch des jüdischen Gymnasiums „Jawne“ in Köln. Ihre Freundinnen Miriam Hahn und Lotte Rosendahl fuhren gemeinsam mit ihr nach Köln. Die Mädchen waren Mitglied in dem Jugendverband Makkabi Hazair, begeistert von zionistischen Idealen, verbunden mit dem Wunsch nach Palästina auszuwandern. Die Eltern hatten allerdings andere Pläne für ihre Tochter. Diese sollte nach dem Abitur studieren und einen Beruf erlernen.

Nach 1933 wollte Annelieses Mutter auswandern, was Emil Katz, der im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft hatte, strikt ablehnte. Erst der Schock der Reichspogromnacht änderte seine Einstellung. Für Anneliese markierte sie das Ende ihrer Kindheit. Am 10. November wurde der Vater verhaftet und nach Dachau verschleppt, in der folgenden Nacht die elterliche Wohnung verwüstet. Erst im Dezember kehrte Emil Katz als gebrochener Mann aus Dachau nach Essen zurück. Anneliese wurde, um sie zu retten im Januar 1939 mit einem Kindertransport zur Tante nach England geschickt. Ihren Eltern gelang es trotz aller Versuche, Visa für England oder irgendein anderes Land zu bekommen, nicht mehr, Deutschland zu verlassen. Am 27. Oktober 1941 wurden Emil und Änne Katz in das Ghetto Lodz (Litzmannstadt) deportiert und am 11. Juli 1944 in Chelmno (Kulmhof) ermordet.

Anneliese musste sich in einer fremden Umgebung einleben und mit einer fremden Sprache vertraut machen. Nach dem Abschluss der Parkstone Girls‘ Grammar School in Poole, Dorset, arbeitete sie im Kriegshilfsdienst als Krankenschwester in verschiedenen Londoner Kliniken und einem Forschungsinstitut in Bristol.

In dieser Zeit lernte sie den singhalesischen Arzt Dr. Don Abraham Ranasinghe kennen. 1949 heirateten die beiden. Bei seiner Rückkehr 1951 nach Sri Lanka (damals: Ceylon) begleitet Anne, wie sie sich jetzt nannte, ihren Mann mit dem gemeinsamen ersten Sohn in seine Heimat. Zu den drei Kindern aus seiner ersten Ehe kamen noch vier gemeinsame. Dr. Ranasinghe war Professor und Leiter der Abteilung für Gynäkologie und Geburtskunde der Universität Colombo. Er verstarb 1981.

Gegen den Widerstand ihrer Familie studierte Anne Journalismus an der Colombo Polytechnic und begann Gedichte, Kurzgeschichten, Hörspiele und Radiofeatures in englischer Sprache zu schreiben. Bereits 1936 als Zehnjährige hatte sie ihr erstes Theaterstück, ein "Purim-Spiel in 10 Bildern", neben Gedichten und Geschichten, verfasst. Dreimal wurde es in Essen im jüdischen Jugendheim aufgeführt. Schnell wurde sie in Sri Lanka berühmt und 1971 erschien ihr erster Gedichtband. Jahrzehntelang lebte Anne Ranasighe als einzige Jüdin in Sri Lanka. Von 1975 bis 1990 war sie Geschäftsführerin des Publikationsdienstes von Amnesty International Südasiens in Colombo. „Sie selbst fühlte sich lange als eine Bürgerin Sri Lankas ohne Religion und ohne Wurzeln. Doch dies änderte sich mit der Ausweisung der Israelischen Botschaft aus Colombo auf Druck der PLO und der Konfrontation mit Antisemitismus. Sie fühlte sich plötzlich wieder als Jüdin. Die unbedachte antisemitische Äußerung einer Bekannten ließ die Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend, an die Ängste und Verluste wieder aufbrechen.“ (Martina Strehlen)

Anne Ranasinghes Gedichte und Kurzgeschichten wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und national und international ausgezeichnet. Viele ihrer Werke erinnern an das Leid der Juden während der NS-Zeit, das Leben in Essen, die ermordeten Eltern und Verwandten. Autobiographische Texte beschreiben den Verlust von Heimat und (Mutter) Sprache. Daneben schrieb sie über das Leben in Sri Lanka. „Ein immer wiederkehrendes Thema ihrer Gedichte ist das Leid von Menschen und anderen Lebewesen, die Bedeutung von Erinnerung und Gedenken an die Unsicherheit der Existenz.“ (Martina Strehlen)

Anlässlich des ersten Besuchs von Anne Ranasinghe in Essen 1983, finanzierte die Stadt Essen die zweisprachig englisch-deutsche Veröffentlichung einer Sammlung ihrer Gedichte zur Shoah, gewidmet ihren Eltern und allen anderen von den Nationalsozialisten ermordeten Essener Juden. Der in Essen lebende chilenische Komponist Juan Allende-Blin verfasste 1985 das Hörspiel „Muttersprachlos". Der Theaterpädagoge Frank Herdemerten erarbeitete mit Studenten die preisgekrönte szenische Kollage „Ein Feuerwerk aus zerbrochenem Glas“, die in der Alten Synagoge uraufgeführt wurde. 1986 drehte der Dokumentarfilmer Michael Lentz für den WDR 1986 eine Dokumentarfilm mit dem Titel „Heimsuchung“, der Anne Ranasinghes Spurensuche in Essen und Züschen, die Begegnung mit ehemaligen Nachbarn und Bekannten und ihr Leben in Sri Lanka zeigt. 1988 sprach sie im Rahmen der Veranstaltung zur Neueröffnung der teilweise rekonstruierten Alten Synagoge (Stationen jüdischen Lebens). Solange es ihr gesundheitlich möglich war, nahm sie an Lesungen ihrer Gedichte, Gesprächskreisen und Veranstaltungen zum Gedenken an die Shoa teil. Daneben lud sie zu Veranstaltungen in ihr Haus ein. Ihr letztes Buch erschien 2015. Im selben Jahr wurde ihr das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Zu diesem Anlass veröffentlichte die deutsche Botschaft in Colombo den Sammelband „Four Things / Viererlei“, der ihre wichtigsten Gedichte enthält. Sie widmete dieses Buch ihrem Vater.

Anne Ranasinghe starb am 17. Dezember 2016 in ihrem Haus im Kreise der Familie.

Grund der Verfolgung

Grund der Verfolgung: Jüdin
Deportiert am: 26.01.1939
Deportiert nach: England

Stolperstein