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Stolperstein "Martin Menke"
Gestorben am 07.03.1940 in Grafeneck
Vita
Vortrag Stolperstein, 08. Dezember 2018, von Volker van der Locht
Martin Menke
*23. März 1881 – †7. März 1940
I.
In der Herbrüggenstraße 91 war Martin Menkes letzter freiwilliger Aufenthaltsort im Jahre 1932 war. Die Straße ist seit dem 30. September 1979 entfallen. In der Nr. 91 hier hat er nur sehr kurz gewohnt, das Essener Adressbuch vermerkt für das gleiche Jahr die Herbrüggenstraße 22 als seinen vorletzten Wohnort. Zum Ende des Jahres wird er aber in ein Altenpflegeheim überwiesen. Zu diesem Zeitpunkt war er 49 Jahre alt. Das vergleichsweise junge Alter für ein Altenheim verweist auf besondere biographisch bestimmte Lebensumstände.
Martin Menke wurde am 23. März 1881 in Delbrück bei Paderborn geboren und kam 1903 mit seinen Eltern nach Essen. Damals war er ledig und arbeitete auf einer Zeche als Kokereiarbeiter. Kurze Zeit später heiratete er und wurde Vater von vier Kindern, jeweils zwei Jungen und Mädchen. Nach eigenen Angaben wurde ihm im Juli 1917 bei einem Unfall ein Bein abgefahren. Seitdem war er Invalide. Vermutlich wurde er dann von seiner Frau versorgt. Als sie jedoch im September 1932 mit gerade 50 Jahren verstarb, ging die familiäre Unterstützung verloren. Bereits am 1. November 1932 kam er in das Pflegeheim Haus Bergmannsruh (Frankenstraße 86a) in Essen-Rellinghausen. Es handelte sich offensichtlich um eine vorübergehende Lösung, denn zum 1. Juni 1933 war er in der Gaußstraße 14 (Frohnhausen) gemeldet. Dort lebte Martin Menkes älteste Tochter Anne, die seine Pflege übernahm. Drei Jahre später, am 1. August 1936, kam er in das Kath. August-Thyssenstift, Mülheim/Ruhr.
Es ist unklar, welche Umstände seine psychische Erkrankung verursacht hatten. Wahrscheinlich spielten der Verlust seiner Ehefrau und der häufige Ortswechsel in der Folgezeit eine wesentliche Rolle. Jedenfalls wurde Martin Menke im Verlauf des Jahres 1937 im August-Thyssen-Stift „auffällig“ und in das evangelische Krankenhaus Mülheim/Ruhr überwiesen. Dort stellte der behandelnde Arzt bei der letzten Untersuchung am 16. September fest, er sei wegen einer Psychose, Nahrungsverweigerung und Gewalt gegen Personen und Sachen anstaltspflegebedürftig. Einen Tag später erfolgte die amtsärztliche Bescheinigung der Stadt Mülheim. Darin heißt es:
„Ihre durch amtsärztliche Gutachten festgestellte Krankheit macht Ihre Anstaltsbehandlung notwendig, weil Ihre Krankheit nicht übersehbare Gefahren in sich birgt. Gemäß §§ 14 und 15 des Polizeiverwaltungsgesetzes vom 1. Juni 1931 wird deshalb aus gesundheitspolizeilichen Gründen Ihre Unterbringung in der Heil- und Pflegeanstalt in Bedburg-Hau bis auf weiteres angeordnet.“
Wiederum einen Tag später kam er mit Hilfe eines Polizisten und eines Sanitäters nach Bedburg-Hau. Zu Martin Menkes Verhalten bemerkten seine Begleiter, er sei „verwirrt“ und würde nicht antworten.
II.
Die „Verwirrtheit“ war eine häufige Rektionsweise bei der Anstaltsaufnahme eines Kranken. Neben den eigenen persönlichen Schwierigkeiten verwirrten der Ortswechsel und die neue Umgebung. Zudem waren die Neuankömmlinge damals nicht in Einzel- oder Doppelzimmern, sondern in Schlafsälen mit anderen, ihnen fremde Patienten untergebracht. Eine vertrauensbildende Atmosphäre und ein heute eher selbstverständlicheres Einfühlungsvermögen gehörten damals nicht zur Arbeitsweise der Ärzte und des Pflegepersonals. Entsprechend gestaltete sich Martin Menkes erste ärztliche Untersuchung in Bedburg-Hau am 20. September. So heißt es in der Akte:
„Liegt unruhig auf dem Untersuchungsbett, hantiert in den Decken herum. Sagt zunächst ununterbrochen: ‚Hier ist ja kein Kissen.‘“
Und an anderer Stelle:
„M. ist örtlich und zeitlich nicht orientiert. Er ist ausgesprochen verwirrt. Der Affekt ist stumpf, zeitw. lacht er unmotiviert. Während der ganzen Untersuchung befindet er sich in einer motorischen Unruhe, zupft ständig am Betttuch und an seinem Hemd herum, schaut oft ratlos um sich, scheint Personen zu verkennen.“
Vermutlich führte auch die respektlose Behandlung durch das Pflegepersonal zu Martin Menkes „auffälligem“ Benehmen während der Untersuchung. Darauf verweist die einleitende Bemerkung zu dem Aktenvermerk:
„Muss ins Untersuchungszimmer getragen werden, da das rechte Bein amputiert ist.“
Es ist aus heutiger Sicht erstaunlich, dass zur damaligen Zeit keine Rollstühle oder andere orthopädischen Hilfen für Gehbehinderte zur Verfügung standen, um sie auf den oft langen Wegen des ausladenden Anstaltsgeländes von einem Ort zum anderen zu bringen. Es muss für Martin Menke verletzend und demütigend gewesen sein, von fremden, vielleicht sogar grob zupackenden Pflegern angefasst und getragen zu werden. Dass sich dies negativ auf sein Befinden und Verhalten während der Untersuchung und letztlich in der ärztlichen Bewertung auswirkte, ist naheliegend.
Die geschilderte kontraproduktive therapeutische Atmosphäre ließ eine Besserung von Martin Menkes Gesundheitszustand nicht erwarten. Als letzter Eintrag in seiner Akte in Bedburg-Hau ist das Abgangsdatum 6. März 1940 notiert worden und dazu der Vermerk: „In Sammeltransport überführt nach Marbach.“ Das Datum deckt sich mit den Daten der Transportlisten aus Bedburg-Hau. 317 Kranke (160 Männer/157 Frauen) wurden dorthin deportiert. Aufgrund kriegsbedingter Schwierigkeiten kamen sie erst nach zwei Tagen Zugfahrt in Marbach an. Von dort ging es mit Auto oder Omnibus zur nahegelegenen Euthanasieanstalt Grafeneck, wo Martin Menke und die anderen Deportierten noch am gleichen Tag getötet und verbrannt wurden.
Neben Brandenburg an der Havel und Hartheim bei Linz an der Donau gehörte Grafeneck bei Reutlingen zu den ersten Einrichtungen, in denen das nationalsozialistische Euthanasieprogramm im Januar 1940 begann. Bedburg-Hau bildete zur Jahreswende 1939/40 im Kontext der Kriegsplanungen des Westfeldzuges gegen Frankreich den Ausgangspunkt der Ermordung der ersten rheinischen Anstaltspatienten. Erste organisatorische Voraussetzungen für die Durchführung von Tötungstransporten im Rahmen der Euthanasie wurden vermutlich in einer Besprechung zwischen Prof. Heyde von der Berliner Euthanasie-Zentrale mit den zuständigen Beamten beim Oberpräsidenten in Koblenz geschaffen. Aufgrund dieser Konferenz, die wahrscheinlich Ende 1939 stattfand, kam es zu den ersten größeren Deportationen von dort. Etwa 2.000 Patientinnen und Patienten wurden verschleppt, um in Bedburg-Hau Platz für ein Marinelazarett der Wehrmacht zu schaffen. Im März 1940 kam es in diesem Zusammenhang zur Verlegung von 1.742 Frauen und Männern. Zielorte waren die Anstalten Waldheim, Haldensleben und Jerichow (Sachsen-Anhalt), Pfafferode (Thüringen), Marbach und Zwiefalten (Württemberg), Herborn, Eichberg und Weilmünster in Hessen, Brandenburg, Görden in Brandenburg sowie Altscherbitz in der Provinz Sachsen. In diesem Kontext gehörte Martin Menke zu den ersten Opfern der Erwachseneneuthanasie nicht nur in Essen, sondern überhaupt im Dritten Reich.
III.
Der Tod eines Patienten in einer Euthanasieanstalt hatte nachträglich noch einige verwaltungstechnische und organisatorische Vorgänge zur Folge. Auf Antrag von Martin Menkes Tochter Anne erhielt die Verwaltung des Südwestfriedhofs in Essen-Fulerum im Frühjahr 1940 ein Schreiben der Grafenecker Direktion mit der Nachricht von Martin Menkes Tod. Dazu wurde eine Urne mit sterblichen Überresten für die Beisetzung versandt. Die Asche war in der Regel nicht oder nur zum Teil von dem getöteten Patienten, denn die Urnen waren aus den Überresten vieler Verbrannter aufgefüllt worden. Deshalb konnten die Mörder gar nicht mehr unterscheiden, wessen sterbliche Überreste sie in die Urnen füllten. In der Todesnachricht ist als Todestag der 21. April 1940 angegeben – im Unterschied zum tatsächlichen Todesdatum 7. März 1940. Die unterschiedlichen Daten sind nicht zufällig. Die Fachleute der Euthanasiezentrale gaben gegenüber den Angehörigen und den Behörden verspätete Sterbedaten an, um zusätzliches Geld einzunehmen. Denn die Kostenträger mussten nur bis zur Entlassung oder dem Tod eines Anstaltspatienten Pflegegeld zahlen. Wurde der Todeszeitpunkt – wie bei den Euthanasieopfern geschehen – verspätet angegeben, konnte man für die Tage, die der Patient schon tot war, noch Einnahmen erzielen. Das war auch nach NS-Recht ungesetzlich!
Literatur
Der Text stützt sich im wesentlichen auf folgende Quellen:
- Haus der Essener Geschichte/Archiv Ernst Schmidt 1940-25.
- Bundesarchiv R 179-16183.
- Volker van der Locht, Zwangssterilisation und Euthanasie in Essen. In: Essener Beiträge. Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen. 123. Band 2010, Essen 2010, S. 153-253.
Grund der Verfolgung
Deportiert am: 01.08.1936
Deportiert nach: August-Thyssen-Stift, Mülheim/Ruhr
Stolperstein
- Verlegt am 08.12.2018
- Adresse: Herbrüggenstraße 91
- Stadtteil: Schönebeck
- Steinlage: Link zum Kartenportal