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Stolperstein "Heinrich Hirtsiefer"
Gestorben am 15.05.1941 in Berlin
Vita
Heinrich Hirtsiefer wurde am 26. April 1876 als ältestes von vier Kindern der Eheleute Heinrich Joseph Hirtsiefer und Katharina Elisabeth geb. Overhaus in der Kruppschen Siedlung Kronenberg in (Essen-) Altendorf geboren. Der Vater arbeitete bei Krupp. Dort machte Heinrich Hirtsiefer nach dem Besuch der Volksschule von 1891 bis 1895 eine Ausbildung zum Schlosser. Während der Ausbildung besuchte er die gewerbliche Fortbildungsschule. Nach dem Militärdienst (1895-1897) arbeitete er wieder als Schlosser und Facharbeiter bei Krupp. Am 9. Mai 1900 heiratete er Clementine von der Lippe aus Essen. Das Ehepaar bekam vier Kinder, Heinrich, Wilhelm, Franz und Sophie.
Heinrich Hirtsiefer nahm schon früh an gewerkschaftlichen und Arbeitervereinslehrgängen teil und schloss sich dem Christlichen Metallarbeiterverband an. Zunächst ehrenamtlich tätig, wurde er am 1. August 1904 zum hauptamtlichen Bezirksleiter des Verbands für das Rheinisch-Westfälische Industriegebiet gewählt. Ab August 1920 war er Verbandssekretär im Christlichen Metallarbeiterverband.
Vom 1. Januar 1907 bis Mai 1924 war Heinrich Hirtsiefer als Mitglied der Zentrumspartei Stadtverordneter in Essen. Er engagierte sich hier für Fragen des Wohnungsbaus und der Sozialversicherung. Dieses Interesse führte 1914 zur Gründung der genossenschaftlich organisierten Kleinhaus-Siedlung eGmbH (heute: Wohnungsgenossenschaft Essen-Nord eG), die in Essen-Altendorf die Hirtsiefer-Siedlung, im Volksmund auch „Minister-Siedlung“ genannt, errichtete. Heinrich Hirtsiefer selbst wohnte mit seiner Familie zunächst im Haus Bockmühlenweg 1, dann ab 1929 in der Mercatorstraße 2. Von 1914 bis 1933 war er im Aufsichtsrat der Genossenschaft.
Nach dem Ersten Weltkrieg, an dem er von 1915 bis 1917 teilgenommen hatte, war er Mitglied der Verfassungsgebenden Preußischen Landesversammlung 1919/21 und des Preußischen Landtags von 1921 bis zu seiner Auflösung 1933.
Aber auch in der Region blieb er tätig, von 1920 bis 1922 im Rheinischen Provinziallandtag und im Verbandsrat des Ruhrsiedlungsverbandes (heute: Regionalverband Ruhr). Daneben war er Vorstand der Landesversicherungsanstalt der Rheinprovinz und des ständigen Ausschusses des Verbandes Deutscher Landesversicherungsanstalten.
Sowohl als Gewerkschafter als auch als Zentrumspolitiker setzte sich Heinrich Hirtsiefer für die Rechte der Arbeiter ein. Als Gewerkschaftler bekämpfte er u. a. bei der Firma Krupp, die Versuche von Unternehmern, die Arbeiter durch werkseigene Pensionskassen enger an die Betriebe zu binden. Beim Ausscheiden aus dem Unternehmen verloren sie sowohl ihre Anwartschaft auf die Betriebsrente als auch ihre in die Alterskasse eingezahlten Beiträge. Das sollte Kündigungen verhindern. Im Zentrum trat er schon 1921, wenn auch vergeblich, dafür ein, die betriebliche Mitbestimmung der Arbeiter in das Parteiprogramm aufzunehmen. 1928 wurde Heinrich Hirtsiefer in den Vorstand des Reichsverbandes des Zentrums gewählt und einer der sechs Parteivorsitzenden.
Bei den Wahlen am 20. Februar 1921 wurde er, wie schon erwähnt in den preußischen Landtag gewählt und von seiner Partei als Anwärter für das Ministerium für Volkswohlfahrt nominiert. Der im November 1921 zum preußischen Ministerpräsidenten gewählte Sozialdemokrat Otto Braun bildete eine Regierung aus Sozialdemokraten, Zentrum, Deutscher Demokratischer Partei und Demokratischer Volkspartei und ernannte Heinrich Hirtsiefer zum Minister für Volkswohlfahrt. Da er der Regierung ohne Unterbrechung angehörte, wurde er bald zum dienstältesten Minister und damit zum ständigen Vertreter des Ministerpräsidenten.
Als Minister für Volkswohlfahrt engagierte er sich für den sozialen Wohnungsbau. In seiner Amtszeit wurden das Gesetz zur Bekämpfung der Tuberkulose, die Reform der Hebammenausbildung, der Ausbau der Jugendfürsorge und Jugendpflege, besonders die Förderung der sportlichen Betätigung der Jugend, auf seine Initiative hin verabschiedet. Im Rahmen seiner Möglichkeiten stellte er aber auch für seine Heimatstadt Essen Mittel für den Bau der Gruga, des Baldeneysees und für den Wohnungsbau zur Verfügung.
Mit den Wahlen vom 24. April 1932, die zu einem starken Anwachsen der Nationalsozialisten geführt hatte, verlor die Regierung Braun ihre parlamentarische Mehrheit und trat am 19. Mai zurück. Sie amtierte nur noch als geschäftsführende Regierung. Otto Braun zog sich zurück und trat aus gesundheitlichen Gründen einen längeren Urlaub an. Deshalb übernahm Heinrich Hirtsiefer als ständiger Vertreter des Ministerpräsidenten ab dem 7. Juni 1932 die Leitung des Kabinetts. Es folgte der sogenannte „Preußenschlag“. Reichskanzler von Papen ließ durch Notverordnung des Reichspräsidenten von Hindenburg die geschäftsführende preußische Regierung für abgesetzt erklären, unter dem Vorwand, sie könne die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Preußen nicht mehr garantieren. Er selbst ließ sich zum Reichskommissar bestellen. Heinrich Hirtsiefer und seine Minister-Kollegen protestierten und riefen den Staatsgerichtshof in Leipzig an, allerdings ohne Erfolg. Trotzdem legte das Kabinett unter Leitung von Heinrich Hirtsiefer seine Ämter erst nieder, nachdem sich der neugewählte preußische Landtag im März 1933 mit der Geschäftsführung durch den Reichskommissar einverstanden erklärt hatte.
Am 28. April 1933 legte er auch den erst im Oktober 1932 übernommenen Vorsitz im Katholischen Siedlungsverband nieder, noch bevor er vom für den Siedlungsverband zuständigen Bischof des deutschen Episkopats der katholischen Kirche am 24. Mai 1933 dazu aufgefordert wurde.
Bereits seit März 1933 wurden Heinrich Hirtsiefer seine Bezüge als Staatsminister a. D. vorenthalten, im Juli 1933 wurden ihm seine Pässe abgenommen und in Bochum ein Ermittlungsverfahren wegen Korruptionsverdachts eingeleitet. Im August 1933 wurde zwar über eine Verhaftung beraten, da er sich aber zu diesem Zeitpunkt nicht in Essen aufhielt, passierte zunächst nichts. Erst am 11. September 1933, Heinrich Hirtsiefer war aufgrund einer Vorladung aus Berlin nach Essen zurückgekehrt, wurde er im Essener Polizeipräsidium von einem Staatsanwalt verhört. Nach dem Verlassen des Gebäudes wurde Heinrich Hirtsiefer von einer Gruppe SA- und SS-Leute aufgehalten und von einem SA-Sturmbannführer gefragt, ob er der ehemalige Schlosser Heinrich Hirtsiefer sei. Er musste sein im Ersten Weltkrieg verliehenes Eisernes Kreuz II. Klasse, das er wohl zur Vorladung angelegt hatte, abnehmen und bekam stattdessen ein Pappschild mit der Aufschrift „Ich bin der Hungerleider Hirtsiefer“ umgehängt. Dann wurde er, begleitet von SA- und SS-Leuten, zweieinhalb Stunden durch Essen bis zu seiner Wohnung geführt, mit einem aufgespannten Regenschirm in der Hand. In seiner Wohnung wurde eine Hausdurchsuchung durchgeführt und Schriftmaterial „sichergestellt“. Heinrich Hirtsiefer wurde dann festgenommen und ins Essener Polizeigefängnis eingeliefert. Am folgenden Tag wurde ihm eine Verfügung des Polizeipräsidenten zur Verhängung der Schutzhaft ausgehändigt. Zunächst wurde er ins Konzentrationslager Kemna bei Wuppertal gebracht und von dort ins Emslandlager Börgermoor bei Papenburg überstellt. Karl Schabrod, ebenfalls Häftling in Börgermoor, beschreibt in einem Bericht, der sich im HdEG/Stadtarchiv/Archiv Ernst Schmidt befindet, wie Heinrich Hirtsiefer körperlich misshandelt und seelisch gedemütigt wurde. Am 12. Oktober 1933 wurde er nach intensiven Bemühungen der Familie aus der sog. Schutzhaft entlassen. Allerdings musste er eine Selbstverpflichtung unterschreiben, nicht mehr nach Essen zurückzukehren. Hermann Göring, preußischer Ministerpräsident seit April 1933, hatte die Entlassung persönlich angeordnet.
Bereits am 12. September 1933 war ein von Hirtsiefers Söhnen Wilhelm und Franz verfasstes und von Clementine Hirtsiefer unterzeichnete gleichlautende Bittschreiben an den Reichspräsidenten von Hindenburg, Reichskanzler Hitler, Ministerpräsident Hermann Göring, den Bischof und Staatsrat Dr. Berning in Osnabrück und den päpstlichen Nuntius Orsenigo in Berlin geschickt worden. Wilhelm und Franz Hirtsiefer, beide angehende Juristen, wurden verhört und verwarnt, besonders für den Brief an Nuntius Orsenigo, da er als Vertreter einer ausländischen Macht betrachtet wurde. Es gelang aber beiden, die Vorwürfe zu entkräften, da sie Orsenigo als Bekannten ihres Vaters eingeschaltet und das Bittschreiben auf eigene Initiative verfasst hätten.
Im Jahr 1934 gab es noch ein Verfahren in Berlin gegen Heinrich Hirtsiefer wegen Korruption, das aber mangels Beweise eingestellt wurde. Er wurde weiter politisch überwacht, durfte bis zu seinem Tod Essen nicht mehr besuchen und lebte in Berlin. Clementine Hirtsiefer starb am 7. Dezember 1937, Heinrich Hirtsiefer am 15. Mai 1941. Er wurde auf dem Friedhof der St.-Matthias-Gemeinde in Berlin-Mariendorf beigesetzt.
Heinrich Hirtsiefer war schriftstellerisch tätig. So verfasste er u. a. 1920 „Die Verbandsordnung für den Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk“ und 1929 „Die Wohnungswirtschaft in Preußen“. Zudem erhielt er zahlreiche Auszeichnungen.
Literatur
Hermann Schröter: In Essen geboren, aus Essen verbannt. Lebensgeschichte des Politikers Dr. h.c. Heinrich Hirtsiefer. In: Das Münster am Hellweg, Jg. 1979, S. 37 ff.; Friedrich Zunkel: Heinrich Hirtsiefer. In: Neue Deutsche Biographie, Bd. 9/1972, S. 241; Ernst Schmidt: Heinrich Hirtsiefer 1933, in: „... wie sollen wir vor Gott und unserem Volk bestehen?" Nikolaus Gross und die katholische Arbeiterbewegung in der NS-Zeit, hg. von Baldur Hermans, Essen 1995, S. 56-64; Martin Rickers: Heinrich Hirtsiefer – vom Schlosser zum Minister, in: Essen entdecken, hg.v. Michael Weier u.a., Essen 1996, S. 92f; Georg Hirtsiefer: Dr. h.c. Heinrich Hirtsiefer (1876 – 1941). Gewerkschaftler – Staatsminister – Politiker, in: Heimatblätter. Jahrbuch des Heimat- & Geschichtsvereins Neunkirchen-Seelscheid 23 (2008), S. 9 – 46; Haus der Essener Geschichte/Stadtarchiv/Archiv Ernst Schmidt: Bestand: 19-867, Bestand: 1933-33
Grund der Verfolgung
Deportiert am: 11.09.1933
Bemerkung:
Verhaftet, "Schutzhaft", Ausweisung aus Essen
Stolperstein
- Verlegt am 15.10.2021
- Adresse: Mercatorstr. 2
- Stadtteil: Altendorf
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