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Brennende Synagoge mit Zuschauern während des Novemberpogroms 1938

Während des Novemberpogroms 1938

Pogromnacht

Die Zerstörung der Synagogen in Essen am 9./10. November 1938

Die neue nationalsozialistische Regierung bürgerte nach 1933 jüdische Familien aus Polen rückwirkend bis 1914 aus: Die in den 1920er Jahren erfolgten Einbürgerungen wurden für ungültig erklärt. Zu Beginn des Jahres 1938 verlangte die polnische Regierung, dass jeder Pole, der sich seit fünf Jahren im Ausland befinde, seinen Pass erneuern sollte. Die NS-Regierung schob am 27./28. Oktober 1938 Staatenlose jüdischer Herkunft ins Grenzgebiet zwischen dem Deutschen Reich und Polen bei Zbaszyn ab. 461 Juden aus Essen waren davon betroffen. Aus Zorn über das Schicksal seiner ebenfalls davon betroffenen Eltern verübte Herschel Grünspan in Paris ein Attentat auf den deutschen Legationsrat Ernst Eduard vom Rath, der am 9. November verstarb. Dies nahmen Adolf Hitler und Josef Goebbels zum Anlass, am selben Abend mündliche Weisungen für die Zerstörung aller Synagogen in Deutschland zu geben. Die im Münchner Hofbräuhaus anlässlich einer Feier versammelten SS- und SA-Führer telefonierten daraufhin zu ihren Verbänden.

An diesem Abend wurden in Essen auf dem Adolf-Hitler-Platz - heute Burgplatz - Einheiten der freiwilligen SS vereidigt. Auch SA-Einheiten waren zu diesem Anlass geladen. Um Mitternacht trafen die Meldungen aus München ein. Die SA-Standarte 58 und SS-Männer zerstörten darauf das Eisengitter des Synagogenvorhofs und beschafften Benzinfässer, die 200 Liter enthielten. Da zu wenig Sauerstoff ins Gebäude eindrang, wurden die Fenster oberhalb der Hauptportale eingeschlagen. Auch das Rabbinerhaus wurde angegriffen und angezündet. Die Feuerwehr an der nahen Gildehofstraße wurde erst spät zum Einsatz beordert, obwohl die Flammen von dort aus zu sehen waren. Sie erhielt die Direktive, nur die umgebenden Wohnhäuser zu schützen.

Weiter wurden das Jüdische Jugendheim an der Ruhrallee und die Synagoge in Steele angezündet, der Betsaal an der Heckstraße in Essen-Werden und derjenige an der Landsbergerstraße 24 in Kettwig verwüstet. Auch im Restaurant der Synagogengemeinde an der Dreilindenstraße 90 und in der Villa Samson am Haumannplatz 9 wurden Brände gelegt. Das Haus des Ehepaars Salomon und Anna Heinemann wurde geplündert und die wertvolle Gemäldesammlung, die der Stadt Essen zugedacht war, verbrannt. Hunderte Geschäfte und Wohnungen wurden geplündert, sowie Hausrat gestohlen. 319 jüdische Männer verhaftete die Gestapo und ließ sie zum Polizeigefängnis Haumannshof bringen. 174 Männer wurden danach in das KZ Dachau nach Bayern verschickt.

Am 10. November prüfte die Gestapo, welche jüdischen Geschäfte noch nicht zerstört worden waren und befahl weitere Verwüstungen. Sie nahm die Villa der Familie Georg Hirschland auf der Franzenshöhe in Werden als Gästehaus in Beschlag, sowie das Alters- und Erholungsheim auf dem Pastoratsberg und den Jüdischen Kindergarten an der Peterstraße. Die Stadt Essen eignete sich am 19./29. Juli 1939 die Grundstücke der Synagoge an der Steeler Straße und des Jugendheims an der Ruhrallee an. Die Synagogengemeinde fand Zuflucht in zwei Häusern an der Hindenburgstraße 22 und 75, wo weiter Gottesdienste und Sprachkurse für die Auswanderung durchgeführt wurden.

Die Ausschreitungen wurden zwischen 1948 und 1950 durch die Staatsanwaltschaft und das Landgericht Essen verhandelt. Diese Gerichtsunterlagen sind neben den Personalakten der Gestapo im Landesarchiv Duisburg die wichtigsten Quellen zur Rekonstruktion der Geschehnisse. Noch nicht erforscht sind die Strafen und die Begnadigungen, die damals ausgesprochen wurden.

Grundstück und Brandruine der ehemaligen Synagoge wurden nach 1945 einer jüdischen Treuhandverwaltung unterstellt und der Jewish Trust Corporation in der Britischen Zone zugesprochen. Um 1948 wurde im in Stand gestellten Rabbinerhaus die kleine Nachkriegsgemeinde mit 80 Überlebenden bis 1959 untergebracht. Die Stadt kaufte das Grundstück legal im Jahr 1959 und richtete dort ein „Haus Industrieform“ ein, das bis 1979 existierte.

Literatur: Michael Zimmermann: ¨Die Reichskristallnacht in Essen“, in: Alte Synagoge (Hg.): Entrechtung und Selbsthilfe. Zur Geschichte der Juden in Essen unter dem Nationalsozialismus, Essen 1994, S. 66-88. Weitere Quellen befinden sich im Stadtarchiv, im dort aufbewahrten Ernst-Schmidt Archiv, in der Sammlung der Alten Synagoge (u.a. Interview mit der Tochter von Rabbiner Hahn, Miriam Cohn-Hahn, AR 0165 Heinz Nassauer) und im Landesarchiv Duisburg, Landgericht und Staatsanwaltschaft Essen, Gerichte Rep. 006 Nr.101, dass. 0105 Nr. 270, ebd., Nr.274, ebd., Nr. 285; NSDAP Gaugericht-Essen RW 0014 Nr. 121-126, Nr. 144, Nr. 171, Nr. 173-175, Nr. 476, Nr. 491.