Wohnungs- und Siedlungsbau in Essen - Eine dynamische Entwicklung
(Text aus der Broschüre "Essen plant Wohnbereiche", Autor Dr. Ernst Kurz, Stadt Essen, Amt für Stadtplanung und Bauordnung, September 2001)
Holzhausbauten
Durch archäologische Funde ist in Essen eine Besiedlung in Holzhaus (-Pfahl)bauten bereits ca. 6000 vor der Zeitrechnung (v.d.Z.). nachgewiesen. Abgelöst wird der Holzhausbau erst um ca. 50 nach der Zeitrechnung (n.d.Z.). durch römische Steinbautechnik, vor allem in den römischen Castren und vorgelagerten zivilen Wohnstädten. Erst in karolingischer Zeit im 9. Jh. prägen Steinbauten die Pfalzen und Gehöfte, wie in Essen vorgefunden.
Steinbauten
Die aus einem Schutzbedürfnis entstandene flächensparende, räumlich sehr enge mehrgeschossige Gemengelage von Fachwerk- und Steinbauten, mit all ihren Nachteilen der Hygiene und Feuersgefahr innerhalb der mittelalterlichen Stadtmauern, konnte erst nach dem Fall der Mauern in der Mitte des 19. Jh. durch großflächige Stadterweiterungen zur Entspannung der Wohnungsnot führen.
Die bereits seit dem 18. Jh. bestehenden Manufakturbetriebe und Anfang des 19. Jh. entstehenden Industrieansätze erforderten Arbeiterwohnungen, die anfangs fabriknah außerhalb der Stadt gelegene, Männern vorbehaltene Holzbehelfsbauten waren.
Wohnsiedlungen in Raster- und Zeilenform
Erst durch das neue Gesetz von 1860 entstanden die ersten Wohnsiedlungen in Raster- und Zeilenform, wozu das leider im 2. Weltkrieg zerstörte Essener Ostviertel und die ebenfalls nicht mehr vorhandenen z.T. in Holzbauweise errichteten Wohnkolonien Altwestend (1860, 144 Wohneinheiten (WE) und Nordhof 1871, 162 WE) sowie die Beamtenkolonie Baumhof (1871, 154 WE) mit Stall und Gartenland am Südrand des Stadtgartens zählen. Die ersten bahnbrechenden Wohnsiedlungen im Geschossbau sind die Kolonien Schederhof (1872, 772 WE) und Cronenberg 1872-1901, 1.572 WE), womit bis 1874 das Wohnungsproblem vorerst gelöst werden konnte. Diese Wohnkolonien bildeten zusammen mit der 35 ha umfassenden Gussstahlfabrik und den Infrastruktureinrichtungen auf 300 ha Fläche die sog. Krupp-Stadt.
Zechensiedlungen
Erst mit den durch Industrie- und Bergbau ab 1890 geschaffenen privaten Zechensiedlungen in Cottage-Manier mit Doppel- und Reihenhäusern entstand eine bis dahin dem Arbeiter unerschwingliche Wohnqualität. Da dies aufgrund gestiegener Bodenpreise werks- oder zechennah nicht auf Dauer realisierbar war, mussten die anfangs Einfamilienhäuser aufweisenden Siedlungen mit Geschosswohnungsbauten erweitert werden. Das typische Beispiel dazu bildete die Kolonie Alfredshof (1894-1911) mit über 1.000 Wohneinheiten, wovon der überwiegend zerstörte Teil dem Wiederaufbau HoIsterhausens weichen musste.
Kurz vor dem 1. Weltkrieg hat die Jugendstilbewegung der Stadt Essen zwei Höhepunkte der Siedlungstätigkeit beschert, die Stiftung Gartenstadt Margarethenhöhe (1906-29) mit 1.700 WE und das Moltkeviertel (1908-18) mit ca. 2.000 WE und ca. 4.000 Arbeitsplätzen. Beide Wohngebiete tragen die Handschrift des modernen Städtebaus und sind von hervorragender architektonischer Qualität, die international große Bedeutung hat.
Wohnungsbaugesellschaften
In der Zwischenkriegszeit sind mehrere u.a. von den in Essen gegründeten Wohnungsbaugesellschaften Gagfah (1918), Allbau (1919), THS (1920), Siedlungsgesellschaft "Eigene Tat" (1927, ab 1942 Gewobau) gebaute Siedlungen entstanden, von denen die THS-Bergmannssiedlung Essen-Nord (1928-29, 100 WE) als innovatives Beispiel der Zwanziger Jahre zeugt. Von den in Essen gebauten sog. "Völkischen Siedlungen" der NS-Zeit in den Dreißiger Jahren bildet die Mustersiedlung Stadtwald (Habichtstraße / Stiftmühlenbrink, 1936-37, 150 WE) ein typisches Beispiel.
Wiederaufbauprogramm
Nach dem 2. Weltkrieg wird mit Hilfe des Marschallplanes das Wiederaufbauprogramm durchgeführt, wobei in Essen die Versuchssiedlung zur Ausstellung "Dach und Fach" (1949) neue Baumaterialien und -methoden testet. Der Stahlhausbau wird durch britische Hilfe und der Holzhausbau durch "Schwedenhäuser" (1952-53) kreiert, Kleinhaussiedlungen werden mit dem "Pestalozzidorf" (1952-53) geschaffen und auf Europas größtem Bauplatz in Holsterhausen (1952-56) entsteht auf einem 104 ha Trümmergrundstück ein Stadtteil für 25.000 Einwohner (8.500 WE).
Den Abschluss dieser Entwicklung bildet der Hochhausbau mit den beiden Scheibenwohnhochhäusern Kaupenhöhe (1955, 181 WE) und Hobeisenstraße 6 (1956, 110 WE).
Beeinflusst durch die Internationale Bauausstellung Berlin 1957 (IBA '57) entsteht in drei Bauabschnitten die Parksiedlung Huttrop (1958-65) mit drei Punkthochhäusern und die nach dem preisgekrönten Entwurf des Wettbewerbes 1957 von Architekt W. Seidensticker errichtete Margarethenhöhe 2 (1962-89, 620 WE).
Flächensanierung Deutschlands
Ebenfalls im Jahr 1957 wird die Sanierung der Altstadt von Steele beschlossen und ab 1964 als erste Flächensanierung Deutschlands realisiert. Parallel dazu wird im Sanierungsgebiet Werden eine behutsame Sanierung durchgeführt, mit sehr hohem Anteil an Altbauerhaltung.
Mit diesen beiden Sanierungsgebieten werden Grundlagen und Voraussetzungen zum Städtebauförderungsgesetz (1971) geschaffen. Essen beteiligte sich damals nicht an den von den Bundesministerien geförderten und propagierten städtebaulich architektonischen Demonstrativbauvorhaben, sondern hat im Rahmen der Sanierung Steele die Oststadt (10.000 WE auf 276 ha, Gesamtfläche 1.380 ha; größtes geschlossenes Bauvorhaben in der Stadt) mit den Wohnbauschwerpunkten Freisenbruch-Süd (2.060 WE, 60 ha), Isinger Feld (1.140 WE, 33 ha), Bergmannsfeld als Musterbaustelle der Deubau '66 (1.710 WE, 34 ha) und Hörster Feld (2.500 WE, 53 ha) geschaffen.
Dabei lässt sich die Entwicklung von "Urbanität durch Dichte" beginnend mit dem Isinger Feld (1971) in Zehenbauweise, 10-geschossige Scheibenhochhäuser mit Reiheneigenheimabrundung, weiterhin beim Bergmannsfeld (1965-73, Neue Heimat = LEG) in vorfabrizierten 4 bis 12 geschossigen Wohnblöcken mit Punkthochhäusern und zuletzt beim Hörster Feld (1973-75), der von z.T. mit 16-geschossigen Wohnhochhäusern dominierten Großwohnanlage ablesen.
Parallel dazu wurden die Stadterneuerungsgebiete Borbeck und Altenessen schwerpunktmäßig bearbeitet. Als gelungenes Beispiel von Stadtsanierung in der Verbindung von alt und neu gilt das Altendorf St. Lucius (1970) in Werden.
ökologische Ansätze
Nach der in den Achtziger und Anfang der Neunziger Jahre auslaufenden großflächigen Stadterneuerung durch Städtebauförderung weist die Entwicklung in Essen über die "Solarsiedlung-Dellwig" (Pausstr.; 1981, LEG-Bonn) und das kosten- und flächensparende Bauen (1988) in Vogelheim den Weg zu kleinräumigen, ökologische Ansätze aufweisenden Wohngebieten auf. Architektonisch hervorragende Beispiele stellen der Wohnpark Kraienbruch (1995-97) in Dellwig, die Siedlung Victoria Mathias in Stoppenberg (1992-94), Betreutes Wohnen am Haus Berge Krankenhaus in Bergeborbeck (1995-97) und das Experiment "Mietwohnungsbau in Holzsystembauweise" (1998-99) in Frohnhausen dar.
Mit den Großprojekten "Dilldorfer Höhe" (740 WE), "Universitätsviertel" (Berliner Platz), "Weststadt" und "Kruppscher Gürtel" wird die Richtung derzeit nicht nur auf dem Wohnungssektor, sondern für die Gesamtentwicklung der Stadt vorgegeben.
Dr. Ernst Kurz (September 2001)